Morgens um sechs, die Augen gehen auf und ich denke „Noch so ein Tag, mal sehen was heute wieder für ein Mist passiert!“. Das Gedankenkarussel fängt langsam und sicher an, sich zu drehen.
„Die S-Bahn kommt zu spät – kriege ich meinen Anschlusszug noch?!“ Die graue Landschaft und die mir lang bekannten Bahnhöfe ziehen an mir vorbei und ich denke „Na prima, der Alltag hat mich wieder!“. Ich sehe meinen Gegenüber und denke: „Eine wirklich hässliche Goldkette – ich lebe in einer Stadt von Leuten ohne Geschmack und Stil“. Bei der Arbeit angekommen ist mein erster Gedanke im Büro: „Wieso mache ich diese Arbeit eigentlich immer noch, obwohl sie mir keine Freude bereitet und sie Sklaventreiberei ist?!“ Mein Kollege fragt nach aktuellen Daten in unserem Projekt und ich denke „Er sollte mal seinen Tonfall ändern!“
Manche unangenehmen Gedanken sind beim Einschlafen und Aufwachen da. Solch eine Lawine löst Stress aus und nimmt schnell die Freude am Berufs- oder Privatleben. Wer sich dieser Lawine einfach so, wie einem Autopiloten, ergibt, wird den Tag automatisch genervt, abgespannt und stressvoll erleben.
Wer anfängt, seine Gedankenlawinen bewusst wahrzunehmen wird feststellen, dass sie von selbst immer größer werden und sich dazu noch wiederholen.
Was ist keine Lösung?
Das Wegschieben oder Unterdrücken solcher Gedanken funktioniert nicht, weil sie immer wieder Schlupflöcher finden und in das Bewusstsein dringen. So beeinflussen sie trotz ‚Unterdrückung‘ unser Erleben und unsere Gefühlslage negativ.
Was ist die Lösung?
Ein bewusstes Wahrnehmen unserer eigenen Gedankenlawinen ermöglicht es uns Menschen als einzigen Lebewesen auf der Welt, die Gedanken nicht automatisch zu glauben, sondern sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Hierzu nutzen wir unser Bewusstsein. Es ist etwas vollkommen anderes, zu denken „Mein Alltag hat mich wieder!“ als mitzubekommen, dass der Verstand diesen Gedanken produziert hat und zu denken: „Interessant, ich denke, dass mich mein Alltag wieder hat – ein interessanter Gedanke – aber stimmt das eigentlich?“
Wer diese Wahrnehmungsübung über einen längeren Zeitraum trainiert, wird zwei Dinge feststellen: erstens ist er zu einem ´Gedanklichen Feinschmecker‘ geworden und merkt, dass die überprüften Gedanken sich von selbst auflösen. Zweitens sind stressbeladene Gedanken unwahr. Unwahr meint in diesem Zusammenhang, dass der Gedanke scheinbar eine umfassende Perspektive beschreibt, in Wahrheit aber nur einen kleinen Ausschnitt zeigt.
Diese Übung des Bewusstseins ist sehr zentral, um mit dem persönlichen Stress umzugehen. Die Kernbotschaft lautet: Glaube nicht immer, was Du denkst.
Was tut der „Gedanken-Feinschmecker“, die bewusste Person?
In obigem Beispiel könnte die bewusste Person feststellen, dass der eigene Verstand per Gedanken den Vorschlag unterbreitet, zu denken, dass der Alltag wieder da ist, die Halskette hässlich ist und der Kollege sich anders ausdrücken sollte.
Die bewusste Person erkennt diese Gedanken als Gedanken und nicht als bedrohliche Fakten. Auf dieses Weise kann sie andere Aspekte wahrnehmen und so konstruktive Energien freisetzen (für eine mögliche Veränderung der Situation) sowie Freude und Glück auslösen:
„Mein Alltag ist meine eigene Konstruktion – a) kann er mich nicht im Griff haben, er kann ja gar nichts, er ist ja nur ein Gedanke b) ich kann meinen Alltag schöner gestalten, indem ich …
Wie betrifft mich die Goldkette des Gegenübers, was bedeutet sie für mich? Sie bedeutet gar nichts, sie hat keine Auswirkung auf mich. Erst mein Gedanke über sie nervt mich, denn die Goldkette an sich kann mich ja gar nicht nerven.
Auch die Ausdrucksweise des Kollegen betrifft mich nicht. Er hat ein Recht auf die Daten, auch mir ist an einer fristgerechten Ablieferung gelegen und ich selbst bin auch oft genug ruppig. Ich reagiere freundlich und gebe ihm in einer nächsten, entspannten Situation eine Rückmeldung. Außerdem möchte ich trainieren, nicht von der Freundlichkeit anderer abhängig zu sein.“.
Die Gute Nachricht bei dieser Betrachtungs- und Herangehensweise ist gleich zweierlei: sie ist so einfach und wie wirkungsvoll. Die einzige Hürde ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Nur wer selbst probiert erfährt, wie das Essen schmeckt.
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